Title
Wie es ist einem autonomen artifiziellen Agenten zu begegnen.
Abstract
Ausgehend von Thomas Nagels Aufsatz „What is it like to be a bat?“ und Alan Turings Aufsatz „Computing machinery and intelligence“ wird argumentiert, das eine erfolgreiche Interaktion von Menschen und autonomen artifiziellen Agenten vor allem darauf beruht, welche Eigenschaften Menschen jenen Agenten zuschreiben und nicht so sehr, ob diese Agenten jene Eigenschaften wirklich besitzen. Diese Annahme bestatigen sowohl Masahiro Moris Idee des “uncanny valley” ebenso wie zahlreiche empirische Studien. Zum Schluss werden einige der moralischen Konsequenzen des hier Gesagten skizziert. 1 Ausgangspunkt: Ersteund Dritte-Person-Perspektive In einem seit seiner Publikation im Jahr 1974 oft zitierten Aufsatz mit dem Titel „What is it like to be a bat?“ [Na74] oder in der deutschen Ubersetzung „Wie es ist eine Fledermaus zu sein“ ergriff der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel in der Debatte der Philosophie des Geistes Partei und argumentierte fur die Irreduzibilitat der sogenannten Erste-Person-Perspektive: Das innere mentale Erleben, so Nagel, einer Spinne, einer Fledermaus oder eines Menschen sei grundsatzlich nicht reduzierbar auf rein physikalische Beschreibungen von Prozessen im Gehirn oder im Nervensystem. Dabei ging es Nagel nicht darum, fur einen Dualismus von Korper und Geist zu pladieren. Er war jedoch der Ansicht, dass die Existenz des inneren mentalen Erlebens, das subjektive Erleben, das Haben von Qualia – all dies sind Versuche der Umschreibung dessen, worum es geht –, dass all dies ein Faktum in der Welt darstelle, das den gleichen ontologischen Status besase wie das Faktum, dass, wahrend Menschen solche Qualia haben, bestimmte neurophysiologische Prozesse im Hirn ablaufen. Es mag sein, so wurde Nagel vermutlich sagen, dass wir irgendwann wissen werden, dass diese und jene Qualia immer mit diesen und jenen neurophysiologischen Prozessen einhergehen; es mag aber auch sein, dass wir irgendwann wissen werden, dass diese und jene Typen von mentalen Zustanden immer mit diesen und jenen Typen neurophysiologischer Prozesse einhergehen. Es mag also sein, dass wir irgendwann mithilfe einer Theorie der Tokenoder aber der Typen-Identitat (bspw. [JPP82]) mentale Zustande erklaren und beschreiben konnen. Das aber, so wurde Nagel sagen, bedeute nicht, dass wir Qualia auf neurophysiologische Prozesse reduziert hatten; sie behielten ihren ontologischen Status. Nun sprach Nagel nicht nur von Menschen, sondern auch von Spinnen und vor allem von Fledermausen. Er hatte insbesondere diese gewahlt, um zu verdeutlichen, dass wir anerkennen mussten, dass Lebewesen, deren Sinneserfahrungen vollig andere als unsere sind, ein mentales Innenleben besitzen, das nicht dadurch vollstandig erschliesbar wird, dass wir bspw. Fledermause sezieren, uns klar machen, wie deren Echolot funktioniert und das Ganze dann in physikalischen Termen beschreiben. Nagel behauptete, dass es auf eine ganz bestimmte Art ist eine Fledermaus zu sein, und dass diese spezifische Erfahrung eine eigenstandige Existenz hat und eben nicht restlos reduziert werden kann auf neurophysiologische Prozesse. Um es etwas plastischer auszudrucken: Nur weil wir vielleicht einmal wissen werden, wie wir die Signalund Informationsverarbeitung in einem Fledermaushirn auf neurophysiologischer Ebene beschreiben und erklaren konnen, wissen wir nicht – und werden wir auch nicht wissen konnen –, wie es ist, bei Dunkelheit durch die Nacht zu flattern, Insekten zu jagen und am Tag dann mit Hunderten von anderen Fledermausen mit dem Kopf nach unten in einer Hohle zu hangen. Die spezifische Erlebnisqualitat einer Fledermaus als Fledermaus und nicht als Mensch in einer Fledermaussimulation wird uns stets verschlossen bleiben; und doch ist es ein unbestreitbares Faktum, dass es irgendwie ist eine Fledermaus zu sein – namlich genauso unbestreitbar, wie es ist ein bestimmter Menschen zu sein. Wichtig dabei ist, dass Nagel ein Kontinuum der Befahigung zu einer solchen inneren mentalen Erfahrung annahm – auch die im Baum der Evolution unter uns eingruppierten Tiere, zumindest alle mit einem Nervensystem, seien dazu im Prinzip fahig. Wenn also gilt: „there is something that it is like to be that organism“– es ist irgendwie dieser Organismus zu sein – dann muss man sich moglicherweise daruber Gedanken machen, ob es auch irgendwie sein kann eine Maschine, ein Roboter oder ein autonomer artifizieller Agent zu sein, wenn jene Maschine, jener Roboter oder jener autonome artifizielle Agent uber etwas verfugt, das einem Nervensystem analog ist. Obwohl dieser Gedanke nun verlockend und interessant ist, soll er hier nicht weiter verfolgt werden. Nur so viel sei gesagt: Selbst wenn es gelange, einen Roboter zu bauen, der sich wie ein Mensch verhielte oder, vielleicht weniger anspruchsvoll, wie eine Katze, so wussten wir dennoch nichts uber das innere Erleben dieser Maschine – denn dem stunde das gerade mit Thomas Nagel Festgestellte entgegen. Entscheidend ist nun jedoch, dass wir dies in den allermeisten lebensweltlichen Kontexten auch gar nicht wissen mussen, um erfolgreich mit anderen Lebewesen oder auch Maschinen zu interagieren. Nagel macht in seinem Text namlich eine Bemerkung, die er zwar nicht selbst weiter verfolgt, aber die gerade in Bezug auf autonome artifizielle Agenten fruchtbar gemacht werden kann. Denn nach einigen einleitenden Absatzen schreibt Nagel ([Na74], 438, seine Hervorhebung): „Even without the benefit of philosophical reflection, anyone who has spent some time in an enclosed space with an excited bat knows what it is to encounter a fundamentally alien form of life.“ Man kann Nagel so verstehen, dass die Dritte-Person-Perspektive auf ein Lebewesen mindestens ebenso wichtig ist wie die Erste-Person-Perspektive – vor allem, wenn es um die Interaktion mit diesem Lebewesen geht. Die nun zu belegende These ist, dass dies nicht nur fur den Umgang mit Lebewesen gilt, sondern fur alle Entitaten, die bestimmte Eigenschaften zeigen, uber die noch zu reden sein wird. Die kunstlichen Vertreter dieser Entitaten sollen im Folgenden als autonome artifizielle Agenten (engl.: „autonomous artificial agent“) bezeichnet werden.
Year
Venue
Field
2013
GI Jahrestagung
Humanities,Philosophy
DocType
Citations 
PageRank 
Conference
0
0.34
References 
Authors
9
1
Name
Order
Citations
PageRank
Karsten Weber154.73